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INTEGRATION

Da oft das Geld nicht reicht, dass eine ganze Familie

flieht, blieb die Mutter zurück. Man beschließt dann in

den Familien, dass die jungen Leute fliehen, weil sie die

besten Überlebenschancen haben.

Wie kann es sein, dass wir unsere Flüchtlinge beim BSV

Bielstein in aller Regel so freudig und höflich erleben,

nachdem, was sie alles erleben mussten?

Schulz:

Ich denke, die sind froh und dankbar, dass sie

jetzt in Sicherheit sind, Schulen besuchen können und an

allen möglichen Aktivitäten teilnehmen können, was in

ihren Heimatländern nicht möglich war.

Was machst du, um die – mitunter grausamen – Ge‑

schichten der Flüchtlinge aus deinem Kopf zu bekom‑

men und Ruhe zu finden?

Schulz:

Diese Geschichten kann man nicht aus dem Kopf

deutsche Sprache auf Arabisch erklärt. Was in den Videos

auf eine Tafel geschrieben wurde, habe ich auf Papier ge-

bracht und die Leute das lesen und schreiben lassen. Mit

der Zeit wurde eine einfache Unterhaltung auf Deutsch

möglich. Mein Ziel war, ihnen einen Start mit Grund-

kenntnissen der deutschen Sprache zu ermöglichen.

Wenn man eine Leistung für andere erbringt, hilft es

oft sehr, die Situation des Gegenübers einschätzen zu

können. Welche Erfahrungen hast du als Deutscher in

einem anderen Land mit anderer Kultur und anderer

Sprache?

Schulz:

Das war am Anfang nicht einfach, weil ich immer

nur in Ländern unterwegs war, die eine europäische Kul-

tur haben. Die arabische Mentalität war mir vollkommen

fremd, aber inzwischen hat die Flüchtlingshilfe der Stadt

Wiehl Veranstaltungen für uns Paten organisiert, in de-

nen wir viel über diese Kultur und Mentalität erfahren

haben.

Viele bringen Erfahrungen mit nach Deutschland, die

kaum jemand hier nachempfinden kann. Darf ich dich

bitten, ein paar Beispiele zu bringen, was die Menschen

erleben mussten, bevor sie in Deutschland angekom‑

men sind?

Schulz:

Da fallen mir einige Beispiele ein: Der Sohn einer

meiner Familien hat in Aleppo mit anderen Kindern auf

der Straße gespielt, als eine Bombe fiel und alle Kinder

außer diesem Jungen starben. Daraufhin beschloss die

Familie zu fliehen. Eine andere Person aus Damaskus, mit

der ich befreundet bin, hat mir erzählt, dass seine Fami-

lie Menschen geholfen hat. Der Vater hat Geld gegeben,

der Bruder hat Medikamente verteilt und die ganze Fami-

lie hat an Demonstrationen gegen das Regime in Syrien

teilgenommen. Die Familie wurde verhaftet und ins Ge-

fängnis geworfen. Der Vater ist ermordet worden und der

Bruder ist verschollen. Nach knapp zwei Monaten wurden

Mutter und zwei Söhne aus dem Gefängnis entlassen und

die beiden Söhne sind dann geflohen.